Mein treuer Volvo hat dann doch mal etwas Aufmerksamkeit gebraucht. Ein tiefes Brummgeräusch war zu hören, das in Linkskurven etwas lauter wurde – damit war ziemlich klar, dass das rechte vordere Radlager kaputt ist. Wobei das oft gar nicht so einfach zu diagnostizieren ist – in diesem Fall hat es aber gestimmt.
Chapeau Volvo!
An dieser Stelle muss ich eine große Lanze für Volvo brechen, was Reparaturfreundlichkeit angeht: Die vorderen Radlager lassen sich tatsächlich ohne Spezialwerkzeug tauschen. Man braucht nicht mal einen Kugelgelenkabzieher! Das Traggelenk, das bei anderen Autos schon viele einschließlich meiner Wenigkeit in die Verzweiflung getrieben hat, geht beim Volvo einfach so auf. Der Grund ist simpel und genial: die Kugelgelenke haben einen Konus mit sehr großem Winkel, der einfach nicht so festgammelt. Bloß weil alle diese doofen spitzen Konusse haben, muss man es nicht nachmachen. Chapeau, Volvo – sehr geil!
Wenn man das mit der Situation beim Vito vergleicht, kommen einem fast die Tränen.
Was man so braucht
- Wagenheber, Unterstellböcke oder natürlich eine Hebebühne
- Ein Radlager, meins war von FAG für ca 90€. Kauft kein Glump, und nehmt eines mit neuen Schrauben (4 für das Lager, eine für die Antriebswelle)
- Antriebswellendichtung, weil ziemlich sicher kaputt
- Ratschenkasten 1/2″, Drehmomentschlüssel 100Nm
- evtl. einen Hammer
- Schraubensicherung mittelfest
- Brecheisen oder 50cm lange Hebelstange
- Schlagschrauber wäre ein Traum
- Wasserpumpenzange (Knipex Alligator rulez)
- Messschieber oder Sturzwaage
- Evtl Drehwinkel-Anzug-Messeinsatz-Geräte-Vorrichtungs-Apparat
So geht’s
Aufbocken, Rad abnehmen
Hat man keinen Schlagschrauber, die Radschrauben und die Schraube für die Antriebswelle (SW14) lösen, dann aufbocken.Mit Schlagschrauber kann man das natürlich auch am aufgebockten Auto machen.
Bremszange abbauen
Die Bremszange abnehmen; dazu mit einem großen Schraubenzieher die Bremsklötze etwas zurückdrücken/hebeln, damit sie nachher von der Bremsscheibe rutschen. Zwei Schrauben SW15 lösen und die Bremszange abnehmen. Aufpassen, dass der Bremsschlauch nicht verdreht wird und keinen Zug bekommt; am bestem mit einem Draht an der Fahrwerksfeder aufhängen.
Sturz messen
Wir müssen den Achschenkel komplett ausbauen, weil das Radlager von hinten verschraubt ist. Damit der Sturz nachher wieder stimmt, den Abstand zwischen Achsschenkel und Federbein messen, oder, noch besser, mit der Sturzwaage den Sturzwinkel.
Falls keine Sturzwaage zur Hand ist, folgendermaßen messen:

Der Achsschenkel ist mit zwei dicken Schrauben oben mit dem Federbein verschraubt. Auf Höhe der oberen Schraube hat der Achsschenkel eine Planfläche. Auf derselben Höhe ist an das Federbeinrohr eine Verstärkung angeschweißt. Mit dem Messschieber den Abstand von der Planfläche zur Rückseite des Federbeins messen, und zwar an der Stelle, die durch diesen angeschweißten Kragen vorgegeben ist. Wert notieren, nicht auf die Klemmung des Messschiebers verlassen…
Die beiden dicken Achsschenkelschrauben lösen (Mutter SW21, Schraube SW18 🤪), aber zumindest eine noch stecken lassen.
Bremsscheibe abnehmen
Die Bremsscheibe ist mit einer Schraube SW10 gesichert; rausdrehen und die Bremsscheibe abnehmen.
Wenn sie nicht freiwillig kommt, mit einem Hammer auf die Ecke des Radflansch klopfen. Nicht auf die oder an der Reibfläche klopfen, sonst haut man sie krumm.
Ist die Bremsscheibe ab, sieht das dann so aus wie auf dem Bild.
Spurstangenkopf abnehmen
Die Mutter SW18 der Spurstange lösen; mit einer Knipex Alligator oder einer anderen ordentlichen Wapuza den Bolzen oben gegenhalten und die Mutter abschrauben. Dabei sich wie ein Schnitzel freuen, dass die Spurstange einfach nach unten aus dem Hebelarm plumpst.
Antriebswelle lösen
Die Schraube der Antriebswelle rausnehmen und die Antriebswelle soweit wie möglich nach innen schieben. Wenn sie festsitzt nicht auf die Welle klopfen – wenn man es übertreibt, kriegt man die Schraube nicht mehr rein. Statt dessen die Schraube wieder ein paar Umdrehungen rein drehen, so dass sie nicht anliegt, und auf die Schraube klopfen. Wir haben ja ne neue, stimmt’s?
ABS Sensor
Der ABS Sensor ist aus Plastik und mit einer Schraube SW10 oben im Achsschenkel befestigt. Nach Entfernen der Schraube geht er trotzdem nie raus, es sei denn, er war gerade draußen. Macht nix, wenn der Achsschenkel frei ist, kann man ihn auf den Kopf stellen und den Sensor vorsichtig rausklopfen.
Traggelenk weg
Ein Fest: Mutter SW18 lösen, das Gelenk mit Torxnuss gegenhalten (T30 war das glaub ich), und die Mutter abnehmen. Dann mit einer Hebelstange/Brecheisen den Querlenker nach unten drücken, bis der Traggelenkbolzen freikommt. Den Hebel innen am Vorderachsträger ansetzen, z.B. da, wo das hintere Querlenkerlager ist.
Achsschenkel raus
Die letzte dicke Schraube zwischen Achsschenkel und Federbein rausnehmen und den Achsschenkel rausheben. Die Antriebswelle dabei nach innen drücken. Falls der ABS-Sensor noch drin ist, auf dessen Kabel achten, damit man es nicht abreißt; in dem Fall jetzt Achsschenkel auf den Kopf stellen und den Sensor rausklöppeln.
Antriebswelle pflegen
Nachdem man das Ende der Antriebswelle jetzt so schön vor sich hat, sollte man es etwas pflegen:
- Verzahnung säubern und fetten
- Impulsgeber-Rad von losem Rost befreien
- Losen Rost überhaupt entfernen
Radlager tauschen

Den ausgebauten Achsschenkel in den Schraubstock spannen; das ist ein idealer Zeitpunkt, um das Traggelenk zu prüfen. Es sollte sich satt, mit etwas Widerstand, ohne Rucken und Knarzen in alle Richtungen bewegen lassern. Der Gummi darf keine Risse haben.
Das Lager ist mit 4 Schrauben SW18 befestigt. Nach Ausdrehen der Schrauben kann das Lager nach unten rausgeklöppelt werden. Dabei nicht verkanten. Wenn es festsitzt, hilft Rostlöser diesmal wirklich.
Wenn das Lager draußen ist, muss der Sitz des Lagers im Achsschenkel saubergekratzt werden. Das neue Lager soll mit der Hand ohne Gewalt rein- und wieder raus gehen. Auch die Unterseite, da wo das Lager später anliegt, reinigen.
Anzug der Schrauben in 3 Stufen über Kreuz:
- 20Nm
- 45Nm
- 60° Drehwinkel
Zusammenbau
Im Schnelldurchgang:
- Dichtring mit etwas Fett auf die Antriebswelle kleben
- Achsschenkel/Radlager ansetzen, dabei den Querlenker wieder nach unten drücken, den Traggelenkbolzen in den Querlenker flutschen lassen und die Antriebswelle einfädeln
- Die beiden dicken Schrauben zum Federbein einstecken (Mutter hinten)
- Traggelenkmutter neu oder mit Schraubensicherungsmittel ansetzen und festziehen; 50Nm + 35° Drehwinkel
- Antriebswellenschraube (neu) einsetzen und mit 35Nm + 90° Drehwinkel anziehen
- Spurstange einsetzen, Schraubensicherungsmittel auf das Gewinde oder neue Mutter. Anzug 50Nm + 35° Drehwinkel
- Schraubensicherungsmittel auf die Federbeinschrauben, Muttern ansetzen und anlegen, noch nicht festziehen
- Sturz wieder einstellen – entweder per Messschieber oder Sturzwaage
- Muttern mit 100Nm + 90° Drehwinkel anziehen
- Bremsscheibe auf die Nabe; die Schraube SW10 nur ganz leicht anziehen (10Nm)
- Bremszange einbauen, Schlauch dabei nicht verdrehen, Sicherungsmittel auf die Schrauben, 100Nm Anzug
- Das Bremspedal einige Male betätigen, damit sich die Beläge wieder anlegen
- Rad anschrauben (140Nm)
- Abbocken
- Fahrn, fahrn, fahrn
Wie immer auf dieser Webseite ist das nur ein Erfahrungsbericht. Wer selber schraubt, ist selber schuld.


